Essstörungen bei Kindern & Jugendlichen
Viele Heranwachsende haben Anorexia, Bulimie oder eine Binge-Eating-Störung. Dabei handelt es sich um ernsthafte Erkrankungen, die abgeklärt und behandelt werden sollten.
Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:
Untergewicht, zwanghafte Ess-Brech-Sucht, Essanfälle: Essstörungen kommen im Kindes- und Jugendalter vor und sollten behandelt werden. Ziel ist es, Essverhalten und Körperbild zu verändern.
Inhaltsverzeichnis
Am liebsten Nudeln mit Butter, keinesfalls gekochte Kartoffeln, nur rotes Gemüse und Obst: Dass Kinder beim Essen eigen sind, kennen viele Eltern – und das muss kein Grund zur Sorge sein. Denn beim Entdecken kulinarischer Vorlieben und Bedürfnisse wird bis ins Grundschulalter oft herumprobiert – das eine phasenweise bevorzugt, anderes abgelehnt. „Picky Eating“ kann auch Ausdruck des Wunsches sein, selbst zu entscheiden. Solange wählerische Kinder gesund und fit wirken, besteht kein Handlungsbedarf, auf sie Druck auszuüben wäre kontraproduktiv.
Ab wann spricht man von einem gestörten Essverhalten?
Problematischer ist ein nachweislich gestörtes Essverhalten. Laut KiGGS-Studie Welle 2 des Robert Koch-Instituts zeigen über 20 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland darauf hindeutende Symptome. Typisch für sie ist ein übermäßig starker Fokus auf das Essen, von dem Betroffene entweder besorgniserregend wenig oder zu viel zu sich nehmen. „Essstörungen sind ernsthafte Erkrankungen, die sich nicht verwachsen“, erklärt Julia Steppat, die selbst jahrelang magersüchtig war und sich als Psychologin auf dieses Thema spezialisiert hat. „Unbehandelt können sie chronifizieren, gravierende psychische und physische Folgen haben – von Angststörungen und Depressionen bis hin zu Osteoporose.“
Diese Essstörungen treten bei Kindern und Jugendlichen häufig auf
Zu den häufigsten Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen gehört Anorexia nervosa, auch Magersucht genannt. Bei ihr dominiert der Wunsch, möglichst dünn zu sein – und das weit über das gängige Schlankheitsideal hinaus. Denn selbst bis auf die Knochen heruntergehungert, nehmen sich Betroffene noch als zu dick wahr. Auch verbreitet ist Bulimia nervosa. Sie äußert sich durch Ess-Brech-Sucht, das heißt das überwältigende Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme, gefolgt von absichtlichem Erbrechen, um nicht zuzunehmen. Bei einer Binge Eating Disorder wechseln sich Essanfälle mit schlechtem Gewissen ab, häufig verbunden mit kontinuierlich steigendem oder zu hohem Gewicht.

So erkennen Sie ein gestörtes Essverhalten bei Ihrem Kind
Fallen Eltern solche Symptome auf, kann es laut Julia Steppat „schon fünf nach zwölf“ sein. Das bedeutet, dass ein Verhalten bereits länger verankert sowie als schleichender Prozess zu einem Zwang geworden ist und eindeutige Auswirkungen hat. Um das zu verhindern, sollten Mütter und Väter ihre Antennen frühzeitig ausfahren: „Meiden Kinder gemeinsame Mahlzeiten oder lassen sie dabei viel auf dem Teller liegen, verschwinden sie anschließend länger auf der Toilette, horten sie Lebensmittel in ihren Schubladen, ziehen sie sich stärker zurück oder treiben sie deutlich mehr Sport als sonst, sollte man hellhörig werden.“ Statt Schimpfen und Vorwürfen rät die Expertin zu Ich-Botschaften à la „Mir ist aufgefallen, dass …“ und einfühlsamen Nachfragen, wie es dem Kind geht, ob es etwas bedrückt.
Die Ursachen für ein gestörtes Essverhalten
Die Ausprägungen eines gestörten Essverhaltens, das bei Mädchen häufiger auftritt als bei Jungen, sind vielfältig, die Ursachen multifaktoriell. Im Fall von Magersucht oder Bulimie kann ein Grund der verzweifelte Versuch sein, einem Schlankheits- oder Leistungsideal zu entsprechen oder in der Pubertät natürlichen körperlichen Veränderungen zu trotzen. Mittel zum Zweck sind strenge Rituale, um sich zu kontrollieren und zu optimieren. Bei Binge Eating dient Essen nicht selten als Trost und das Übergewicht als Panzer, um sich nach außen hin zu schützen. Zu diesen Ursachen, die auch unbewältigte Traumata sein können, addiert sich laut Julia Steppat oft ein Auslöser. Sie selbst fühlte sich als Teenie als Außenseiterin, zu dick und nicht gesehen, litt unter der Trennung der Eltern. Mit 17 las sie zufällig von Magersucht und fühlte sich davon ebenso angezogen wie abgestoßen. Dann machte auch sie Diät, nahm ab und erntete Komplimente – zunächst ein Hochgefühl, das dann zu einem „ständigen Kampf“ mit Schwindelanfällen und Schmerzen mutierte.
Wie werden Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen behandelt?
Irgendwann spüren Essgestörte, dass etwas nicht stimmt. Aber ihr zwanghaftes Verhalten ist so übermächtig, dass sie nicht alleine einlenken können. Dieses Dilemma belastet nicht nur sie, sondern auch Eltern und Angehörige. Als Hauptbezugspersonen sind diese zwangsläufig involviert, sollten sich aber externe Hilfe holen: Kinder- oder Allgemeinärzte als erste Anlaufstelle, dann auf Essstörungen spezialisierte Beratungsstellen, die sich mit ambulanten und stationären Behandlungsmöglichkeiten auskennen. Schritt für Schritt kann so ein Heilungsprozess angestoßen werden. In einer (Tages-)Klinik oder Wohngruppe sind Gesprächs-, Verhaltens- und Körpertherapien sowie Ernährungstraining besonders engmaschig und intensiv. Oberstes Ziel ist es, bei Betroffenen die verzerrte Wahrnehmung des Körperbilds und das Essverhalten zu verändern, ihr Selbstwertgefühl zu verbessern.

Als Familie gemeinsam gut essen: Tipps
„Die Erwartung, nach einem Klinikaufenthalt ein gesundes Kind zurückzubekommen, ist leider unrealistisch“, so Julia Steppat. Doch insgesamt stehen die Chancen gut, Essstörungen im Kindes- oder Jugendalter zu überwinden. Um ihnen vorzubeugen, helfen folgende Tipps: Eltern sind Vorbilder – auch beim Essverhalten. Ernähren sie sich ausgewogen und gesund, ohne ständige Selbstzweifel an der eigenen Figur, vermitteln sie das Gefühl: Ich akzeptiere mich, bin gut genug. Auf keinen Fall sollten Mütter oder Väter „Essenspolizei“ spielen, die am Tisch Essverhalten und Gewicht des Kindes kontrolliert und kommentiert. „Essen und kochen soll Spaß machen“, empfiehlt Julia Steppat. „Probieren Sie zusammen in der Familie Neues aus, spielerisch ohne Druck, statt abzuwerten“ – bevorzugt bei regelmäßigen gemeinsamen Mahlzeiten mit qualitätiv hochwertigen Lebensmitteln statt Fertiggerichten oder Essen to go.
Video: Was ist eine multifaktorielle Genese?
Essstörungen haben nicht nur eine Ursache. Dr. Madeleine Zimmermann, Oberärztin an der Uniklinik Freiburg, erklärt, welche Ursachen sie begünstigen und wohin sich besorgte Eltern wenden können.
Lektüretipps
Bücher, Internetseiten und Podcasts zum Thema Essstörungen mit Informationen für Eltern und Betroffene
„Warum Kinder nicht richtig essen“ von Julia Steppat (Gräfe und Unzer)
Ratgeber über die unsichtbaren Ursachen von Essstörungen mit hilfreichen Informationen für Betroffene und Eltern. Außerdem gibt die Autorin Tipps für geeignete Anlaufstellen.
„Mein Kind hat eine Essstörung“ von Martina Effmert (humboldt)
Von Bulimie bis Magersucht – Sachbuch über unterschiedliche Krankheitsbilder, ihre Auslöser und Risiken plus Verhaltensempfehlungen für involvierte Mütter und Väter.
„Die Hungerwolke“ von Milena Tebiri, Anna-Charlotte Lörzer, Paula Kuitunen und Stefan Hetterich (Mabuse-Verlag)
Kinderbuch über eine Achtjährige, die sich mit Süßigkeiten über Familien- und Schulprobleme hinwegtröstet – bis die Mutter einen Weg findet, ihr zu helfen.
bzga.de
Seite vom Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit über Gründe, Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten für Essstörungen. Links führen zu Kurzfilmen und Beratungsangeboten am Telefon, vor Ort oder online, Informationsbroschüren können heruntergeladen werden.
anad.de
ANAD e.V. fokussiert sich seit 41 Jahren auf Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Für sie gibt es therapeutische Wohngruppen, auf der Internetseite Informationen über Krankheitsbilder, Behandlungsmöglichkeiten und Hilfsangebote. Außerdem vermitteln Dokumente im Downloadbereich hilfreiches Wissen, ein Selbsttest analysiert das eigene Essverhalten.
bundesfachverbandessstoerungen.de
Seite eines Zusammenschlusses von spezialisierten Ärzten, Therapeuten und Beratern. Essstörungen werden erklärt, Einrichtungen können für PLZ-Gebiete oder Kategorien von Beratungsstelle bis Wohngruppe herausgefiltert werden.
ardaudiothek.de
Podcast aus der Reihe „Wissen“ von rbb24 Inforadio über Essstörungen, unter denen immer mehr Jugendliche leiden. Wie sich diese therapieren lassen, erklärt der Kinderpsychologe Prof. Dr. Christoph Correll von der Berliner Charité im Interview mit Jessica Wiener.
rki.de
Daten aus dem Gesundheitsmonitoring des Robert Koch-Instituts (RKI) über Häufigkeit und Risikofaktoren von Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland.
Zur Autorin: Als Baby wurde die Tochter von Antoinette Schmelter-Kaiser gestillt und war rundum gepolstert. Mit dem Laufenlernen verschwanden die Röllchen. Schlank ist sie bis heute – zum Glück mit pflanzenbasierter Ernährung und ohne Essstörungsexzesse.
Illus AI-generiert (1)
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