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Gesund

Mehr Gendermedizin, bitte!

Denn bei Frauen und Männer unterscheiden sich nicht nur die Chromosomen, auch die Symptome, zum Beispiel beim Herzinfarkt. Zeit für die Erforschung einer lebensgefährlichen Datenlücke vor allem für mehr Frauengesundheit, aber nicht nur.

Text: Karen Cop

Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:

In der Gesundheitsversorgung von Frauen und Männern gibt es geschlechtsspezifische Voraussetzungen und Risikofaktoren. Medikamente wirken anders, Krankheiten äußern sich anders.

„Gendermedizin, was ist das denn?“ Keine ungewöhnliche Frage. Auch Renate G., 57 Jahre alt, Journalistin, hatte von Gendermedizin noch nichts gehört. Sie fühlte sich seit Tagen sehr erschöpft, denn sie hatte eine stressige Zeit mit viel Arbeit hinter sich. Ihr Rücken tat zwar mehr weh als sonst und ihr war schlecht, aber sie dachte: Den einen Artikel muss ich noch fertig schreiben, dann gehe ich zum Arzt. Am nächsten Morgen ging es ihr so schlecht, dass ihr Mann sie lieber mit einem Taxi in die nächste Klinik fuhr – sie starb noch vor dem Eingangsbereich. Wiederbelebungsversuche kamen zu spät, ein Herzmuskel war bereits abgestorben, die Herzaußenwand eingerissen.

Tatsächlich entwickelt sich das Bewusstsein für mögliche geschlechtsspezifische Risiken und Symptome erst seit den 1990er-Jahren, als die Kardiologin Marianne Legato entdeckte, dass sich bei Frauen ein Herzinfarkt anders äußert als bei Männern. Inzwischen engagieren sich zunehmend mehr Experten für eine geschlechtersensible Medizin (GSM). So wie Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, bis 2019 Präsidentin des Weltärztinnenbundes: „Die Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern gebietet die Berücksichtigung der Spezifika in der Diagnostik und Therapie beider Geschlechter, nicht zuletzt unter Heranziehen verschiedener anderer Faktoren wie Alter und sozialem Umfeld. Erst dann sind wir auf dem Weg zur besten medizinischen Versorgung von Frauen und Männern. Dabei könnte eine geschlechtsspezifische Krankheitsprävention und vor allem Behandlung in Kombination mit einem geschlechtssensitiven Rollenbewusstsein die Gesundheit beider Geschlechter in hohem Maße verbessern.“ Der Weg ist noch weit.

Die Datenlücke: Gender Data Gap

Frühestens ab 2025 soll eine neue Approbationsordnung Gendermedizin fest in die Lehrpläne für Medizinstudentinnen und –studenten schreiben. Erst am 31.1.2022 führte die EU eine verpflichtende repräsentative Verteilung von Geschlechtern und Altersgruppen in klinischen Studien ein. Seit dem Skandal um das Schlafmittel Contergan in den 1950er- und 60er-Jahren sind Frauen im gebärfähigen Alter weitgehend von klinischen Studien ausgeschlossen, der Maßstab ist meistens ein rund 75 Kilo schwerer Mann. Das Gesetz und die fortschreitende Digitalisierung soll die Datenlücke nun schließen. Doch ein Algorithmus kann nur so gut sein wie die Daten, mit denen er gefüttert wird. Fehlen die Daten von Patientinnen, also der Hälfte der Bevölkerung, wird aus dem Gender Data Gap der Gender Health Gap – zu Lasten der Frauengesundheit. Denn da Frauenkörper anders sind, wirken auch Medikamente anders. Auf den allermeisten Beipackzetteln sind bislang jedoch nur Dosierungsempfehlungen zu lesen, die „Erwachsene“ betreffen, egal ob Mann oder Frau. Bestenfalls wird die Dosierung dem Körpergewicht angepasst, nie der Menstruationszyklus berücksichtigt, ob eine Frau in den Wechseljahren ist oder mit Hormonersatz therapiert wird.

Von Chromosomen und Medikamenten

Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer eins. Auf einem X-Chromosom liegen mehr als 1.000 Gene, auf dem Y weniger als 100. Deshalb leiden Männer beispielsweise häufiger an Krankheiten, die über das X-Chromosom vererbt werden. Auch jede Körperzelle ist anders. Frauen haben Organe, die Männer nicht haben und umgekehrt. Der Körperbau sowie der Körperfettanteil unterscheiden sich – sehr wichtig, denn manche Medikamente reichern sich im Körperfett an und bei Frauen ist der Anteil proportional höher. Die GendAge-Studie an der Berliner Charité untersucht aktuell, wie Frauen und Männer erkranken und dementsprechend behandelt werden müssten. Andere Studien haben bereits gezeigt: Manche Herzmedikamente verkürzen das Leben von Frauen im Vergleich zu Männern. Ibuprofen und ASS unterdrücken Schmerzen bei Männern besser und führen zu weniger Nebenwirkungen als bei Frauen. Nicht zuletzt bei Covid zeigte sich wiederum, dass das Immunsystem von Männern vergleichsweise schwächer zu sein scheint. Auch für die Immunabwehr wichtige Informationen liegen auf dem X-Chromosom und Östrogene unterstützen die Bildung spezifischer Immunzellen. Dafür leiden Frauen öfter an Autoimmunkrankheiten.

„Manche Medikamente reichern sich im Körperfett an und bei Frauen ist der Anteil proportional höher.“

Noch fehlt das Fach „Gendermedizin“ in den Lehrplänen für angehende Medizinerinnen und Mediziner, das soll sich ab 2025 ändern.

Östrogene und Osteoporose

Männer können Prostatakrebs bekommen, Frauen Brustkrebs. Denkt man so. Dabei haben Frauen zwar keine Prostata, aber Männer Brüste. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (dkfz) meldet: „Eine von 100 Brustkrebsneuerkrankungen betrifft einen Mann.“ Nur anders als bei Frauen gibt es für sie keine Früherkennungsprogramme. Geschwollene Lymphknoten in der Achselhöhle oder Entzündungen an den Brustwarzen lassen Männer wie Allgemeinärzte selten an Brustkrebs denken. Als ebenso typische Frauenkrankheit gilt die Osteoporose. Dabei leiden an chronischem Knochenschwund neben rund 5,2 Millionen Frauen auch 1,1 Millionen Männer in Deutschland. Deren Östrogenwerte sinken mit zunehmendem Alter verglichen mit Frauen nicht so stark ab, weswegen die primäre Osteoporose meist erst in höherem Alter beginnt, aber unter sekundärer Osteoporose, die beispielsweise durch Kortisonbehandlungen entstehen kann, leiden mit 60 % mehr Männer. Trotzdem wurden die meisten Studien für Osteoporosemedikamente und Nahrungsmittelergänzungen wie Vitamin D, die den Knochenschwund bremsen sollen, um gefährlichen Brüchen vorzubeugen, bei Frauen nach den Wechseljahren durchgeführt. Selbst Ärzte denken bei Knochenbrüchen von Männern zuerst an Sportunfälle.

Risikofaktoren und Symptome bei Herzinfarkt

Laut der Deutschen Herzstiftung e.V./Deutsche Stiftung für Herzforschung sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache – bei Männern und Frauen. Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute, doch Frauen rufen viel später den Notruf 112. Laut MK München Klinik, die eine informative Website zur Frauengesundheit anbietet, kommen „Frauen im Schnitt erst zwei Stunden später als Männer in die Notaufnahme.“ Mit oft Herzinfarkt-untypischen Symptomen. Kardiologin Prof. Dr. Christiane Tiefenbacher, Chefärztin am Marienhospital Wesel vom Vorstand der Herzstiftung erklärt: „Häufiger als bei Männern können bei Frauen weniger eindeutige Symptome auftreten, etwa Atemnot, ein Ziehen in den Armen, unerklärliche Müdigkeit, Übelkeit oder Erbrechen, Schmerzen im Oberbauch oder Rücken.“ Bauchschmerz würde häufig als Magenverstimmung abgetan und bei jüngeren Raucherinnen nicht daran gedacht, dass ihr Herzinfarktrisiko auf das Vierfache steigt, wenn sie die Pille nehmen. Frauen verlassen sich oftmals auf die schützenden Östrogene, doch dieser Herzschutz fällt mit den Wechseljahren weg.

Jung, weiblich, Herzinfarkt

Effat hatte gleich zwei Merkmale, bei denen keine an Herzinfarkt dachte: weiblich und erst 27 Jahre alt. Im Video spricht ARD-Reporterin Katharina Röben mit ihr, geht mit ihr zur Kontrolluntersuchung und fragt bei Experten nach, was geschehen muss, um Gender Health Gap in der Medizin zu schließen.

Gendermedizin in der Gesundheitsvorsorge

Was viele Frauen nicht wissen: In den Wechseljahren kann der Blutdruck ansteigen. Laut Herzstiftung haben „mehr als die Hälfte der 60- bis 69-jährigen Frauen Bluthochdruck.“ Die Deutsche Hochdruckliga e.V. bestätigt: „Frauen mit steigendem Alter sind sogar stärker gefährdet als Männer.“ Deshalb müsse der Blutdruck regelmäßig gemessen werden. Übrigens auch bei einer Schwangerschaft, Bluthochdruck ist dann ein Hinweis auf sehr ernst zu nehmende Komplikationen wie Präeklampsie. Andererseits leben Frauen laut Statistik 5 Jahre länger als Männer. Diese gehen bei gesundheitlichen Problemen seltener zum Arzt, körperlichen wie psychischen – Männer begehen dreimal häufiger Selbstmord als Frauen. Sie nehmen auch seltener Vorsorgeuntersuchungen wahr. Die Deutsche Krebsgesellschaft warnt: „Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer ist in der Regel die Chance, sie zu heilen, so die Deutsche Krebsgesellschaft. Doch nur rund 40 Prozent der Männer nehmen regelmäßig die gesetzlich geregelten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen in Anspruch.“ Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat deshalb ein Männerportal eingerichtet. Mehr Gendermedizin bedeutet auch mehr Aufklärung: Frauen sind anders, Männer auch.

Zur Autorin: Karen Cop ist Gesundheitsjournalistin. Renate G. war nicht nur Kollegin, sondern auch eine Freundin. Ihr Tod hat sie sehr erschüttert und nachdenklich gemacht. Seitdem bemüht sie sich um Arbeit mit Struktur und Lücken zur Entspannung. Nacht- und Wochenendarbeit sind gestrichen!

Stand: Juni 2023

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