ME/CFS? Symptome und Behandlung
Was, wenn man sich total erschöpft auch nach dem Ausschlafen fühlt? Ein Bericht über eine unterschätzte Erkrankung und die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS inklusive unserem F&A-Quiz am Ende des Artikels
Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:
Hinter ME/CFS steckt mehr als „nur“ anhaltende Erschöpfung: Hier lesen Sie wichtige Infos zu Symptomen, Behandlung und Heilungschancen der neuroimmunologischen Erkrankung.
Inhaltsverzeichnis
Myalgische Enzephalomyelitis und Chronisches Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS – das kann kaum einer aussprechen oder sich merken. Dabei leiden laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. aktuell rund 650.000 Menschen in Deutschland an dieser schweren neuroimmunologischen Multisystemerkrankung.
Weil sie trotz der hohen Zahl Betroffener kaum bekannt ist, hat es sich der Verein bei seiner Gründung 2016 zur Aufgabe gemacht, auf ME/CFS aufmerksam zu machen: „Wir wollen die dramatische Situation der Erkrankten und Angehörigen an die Öffentlichkeit bringen und setzen uns für den Ausbau der medizinischen Versorgung und Forschung ein.“ Denn betroffen sein kann jeder. Wobei sich bei einer Untersuchung vor der Pandemie zeigte, dass es zwei Altersgipfel gibt: zwischen 10 und 19 sowie zwischen 30 und 39 Jahren; insgesamt mehr Frauen als Männer.
ME/CFS beginnt meistens plötzlich und wird von grippeähnlichen Symptomen begleitet, die Betroffenen fühlen sich zunehmend körperlich und geistig erschöpft. Auslöser kann eine Operation sein oder eine Infektionskrankheit mit dem Epstein-Barr-Virus, Influenza oder SARS-CoV-2. Circa 20 % der Long-Covid Patienten leiden postviral an ME/CFS. Warum die Erkrankung bei einem Menschen auftritt und bei anderen nicht, ist ungeklärt. Dabei gehört die Lebensqualität für Menschen mit ME/CFS zur niedrigsten, verglichen mit allen chronischen Erkrankungen, sogar mit Krebs.
Checkliste: die wichtigsten Symptome von ME/CFS
- Post-Exertionelle Malaise: PEM bezeichnet eine Belastungsintoleranz mit folgender Symptomverschlechterung. Sie kann durch alltägliche Tätigkeiten wie Zähneputzen, Kochen oder Musikhören ausgelöst werden. Die Crux: Betroffene merken oft nicht gleich, dass sie sich zu viel zumuten, oftmals erst Stunden später. Eine PEM und die damit einhergehende Verschlechterung der Lebensqualität kann tagelang anhalten oder chronisch werden.
- Autonomes Nervensystem: Herzrasen, Blutdruckschwankungen, Schwindel
- Immunologie: starkes Krankheitsgefühl, schmerzhafte und geschwollene Lymphknoten, Halsschmerzen, Atemwegsinfekte, erhöhte Infektanfälligkeit
- Neurologisch: Konzentrations-, Merk- und Wortfindungsstörungen (Brain Fog), überempfindliche Sinne
- Muskel-, Gelenk-, Kopfschmerzen
- Schlafstörungen, begleitet von extremer Erschöpfung, chronischer Fatigue
ME/CFS: Diagnose, Verlauf und Behandlung
Das Krankheitsbild von ME/CFS ist auch vielen Ärzten unbekannt. Wenn Patienten von ständiger Müdigkeit und zunehmender Schwäche sprechen, werden die Symptome oft verharmlost oder als Zeichen einer psychischen Erkrankung fehldiagnostiziert. Dadurch fühlen sich die Kranken stigmatisiert und nicht ernst genommen. Gleichzeitig verschlechtert sich der Schweregrad der Erkrankung, wenn ME/CFS nicht frühzeitig erkannt und dementsprechend gehandelt wird.
Leider gibt es keine Bluttests oder Bildgebungsverfahren, mit denen ME/CFS nachweisbar ist. Die sogenannten Kanadischen Konsenskriterien definieren die Krankheit deshalb anhand der Symptome und einer Krankheitsdauer von mindestens sechs Monaten. Vor der Diagnose ME/CFS müssen andere Krankheiten ausgeschlossen werden, die mit chronischer körperlicher und geistiger Erschöpfung einhergehen, zum Beispiel Anämie, Diabetes, Depressionen und Leber- und Tumorerkrankungen.
Dann wird der ME/CFS-Schweregrad beurteilt.
Mild: Betroffene sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Oft arbeiten sie noch, können aber nicht mehr an Freizeitaktivitäten teilnehmen.
Moderat: Starke Einschränkung, oft arbeitsunfähig. Die Symptome schwanken, Anstrengung führt zu einer Symptomverschlechterung.
Schwer: Die Lebensqualität sinkt, die Symptome sind ausgeprägt. Kleine Aktivitäten wie Zähneputzen sind möglich, selbständig essen eventuell nicht. Betroffene bleiben meist zu Hause oder brauchen einen Rollstuhl.
Sehr schwer: Betroffene können nicht alleine essen, kaum sprechen und sind auf Pflege angewiesen. Sie reagieren extrem empfindlich auf Sinnesreize, liegen im verdunkelten Zimmer und ihre Angehörigen sprechen flüsternd mit ihnen, weil Geräusche die Symptome verschlimmern.
ME/CFS kann zu einem hohen Grad an Behinderung führen, laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS sind „viele Erkrankte bettlägerig, über 60 % arbeitsunfähig“. Dabei erfährt die Mehrzahl zusätzlich zur Erkrankung Unverständnis und Stigmatisierung. Laut einer Umfrage der European Federation of Neurological Associations (EFNA) fanden 55 % der ME/CFSBetroffenen die Interaktion mit medizinischem Personal problematisch, an zweiter Stelle wurde der Arbeitsplatz genannt. Privat konnten 97 % nicht mehr an sozialen Aktivitäten teilnehmen, 63 % wurden von Familie und Freunden ausgeschlossen.

Die Heilungschancen bei ME/CFS
„Stell dich nicht an“, „Übertreib nicht so“ hören Betroffene öfter, dabei geht die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS davon aus, dass es wahrscheinlich keine Krankheit gibt, die derart häufig, schwerwiegend und dabei so unerforscht ist. Erst 2024 stellte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMF) größere Mittel bereit. Bislang gibt es keine zugelassene, ursächlich heilende Therapie, aber da mit der Pandemie auch ME/CFS stark zugenommen hat, wird inzwischen intensiv nach Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten gesucht.
Aktuell orientiert sich die Behandlung an den Symptomen: Schlafmitteln gegen Schlafstörungen, schmerzlindernde Medikamente gegen Muskel- und Gliederschmerzen und so weiter.
Bis zu einem Drittel der Betroffenen erholt sich im Laufe von fünf Jahren weitgehend. Bei Kindern und Jugendlichen „ist die
Prognose von ME/CFS grundsätzlich besser als im Erwachsenenalter“, beobachtet Professorin Dr. Uta Behrends, Oberärztin an der einzigen auf ME/CFS spezialisierten Ambulanz Deutschlands, der Kinderpoliklinik München-Schwabing. „Wir gehen davon aus, dass die meisten der betroffenen Kinder und Jugendlichen bei engagierter, symptomorientierter Versorgung von ME/CFS genesen können. Der Verlauf ist jedoch in der Regel langwierig über einige Jahre.“

Das können ME/CFS-Betroffene tun
Von ME/CFS Betroffene müssen ihre Kräfte einteilen, damit es zu keiner Symptomverschlechterung (PEM) kommt. Sie brauchen einen geregelten Tagesablauf mit vielen Pausen zur bewussten Entspannung. Dabei hilft Pacing, ein Aktivitäts- und Energiemanagement, mit dem Erkrankte lernen, unter der individuellen Belastungsgrenze zu bleiben, um einen Crash (PEM) zu vermeiden. Die 4-P-Regel lautet: priorisieren, planen, pausieren sowie sich und die Umgebung richtig positionieren. Im Idealfall haben Arbeitgeber Verständnis und ermöglichen flexible Arbeitsbedingungen. Ganz wichtig: Versuchen Sie nicht, gewohnte Leistung zu erbringen!
Auch Sport oder klassische Reha-Maßnahmen, die eine Aktivierung zum Ziel haben, etwa die Muskeln oder Ausdauer trainieren, helfen dagegen nicht, im Gegenteil. Lieber Hilfsmittel besorgen lassen, die die Energiereserven schonen: Duschhocker, Schrittzähler, Schreibhilfen, Schulminiroboter. Und statt eines anstrengenden Praxisbesuchs Telemedizin in Anspruch nehmen.
Und die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e. V. bietet auch Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige an.
Video: Das richtige Tempo finden gegen die Belastungsintoleranz
Mit Pacing können von ME/CFS Betroffene ihre Belastungsgrenze ausloten und eine Symptomverschlechterung verhindern. Wie das geht, zeigt ein Aufklärungsvideo der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS:
Quiz: 6 Fragen und Antworten zu ME/CFS
Alles gelesen, alles klar? Machen Sie den Test. Was ist ME/CFS und was ist zu tun? Hier sind sechs Fragen mit je zwei Antworten rund um die mysteriöse Erkrankung – kennen Sie die richtige?
Zur Autorin: Karen Cop kennt zwei Betroffene persönlich, von denen einer in der Reha eine PEM erlebt hat. Die andere nutzt Pacing und hat viele Aufgaben abgegeben, zum Beispiel Hausputz. Beide vertrauen auf Schlafbrille, Ohropax und #LemonChallengeMECFS.
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