Einfach nur NÖ!
„Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? Jein!“, hiphopten einst Fettes Brot. Dabei bringt ein klares Nein zahllose Vorteile – dachte unsere Autorin …
Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:
Ist Nein ein böses Wort? Oder bringt es uns erst an unser Ziel? Wäre ein Leben ohne Nein denkbar? Fragen über Fragen – mögliche Antworten lesen Sie hier.
Inhaltsverzeichis
Als meine Ex-Fast-Schwägerin ihre Tochter bekommen und zu viel Zeit für Erziehungsratgeber hatte, infizierte sie sich eines Tages mit der Überzeugung, „Nein“ sei ein schädliches Wort für das Kind. Es sei so negativ! Stattdessen solle man „Tabu“ sagen. „Allegra, Tabuu!“, rief sie unentwegt und schwang ihren Arm dabei über die Einjährige, als wollte sie ihr einen Zauber auferlegen.
Ihre Tabuisierung des Neins wurde zu meinem Nerventrigger und ließ mein inneres Nein immer größer heranwachsen. Denn selbstredend wurden auch wir genötigt, unsere schlechten „Neins“ durch weniger destruktive „Tabus“ zu ersetzen. (Ich bin nur froh, dass damals das Modewort „toxisch“ noch nicht viral war.) Ich weigerte mich – auch, weil ohnehin schon genügend Erwachsene an dem Kind herumerzogen. Spoiler: Lange hielten es auch die anderen nicht durch! Irgendwann war das gute alte Nein klammheimlich wieder zurückgekehrt – freilich, ohne rehabilitiert zu werden.
Was hat uns das Nein nur getan?
Abgesehen davon, dass mich diese pseudopädagogische Kapriole schon immer höchst belustigt hat, ist sie mir bis heute zutiefst unverständlich. Was ist so schlimm an einem Nein? Wo es ein Ja gibt, muss auch ein Nein sein! What goes up, must come down. So einfach ist das. Ja und Nein sind wie Yin und Yang, wie Licht und Schatten, wie Stan und Olli, wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille – nämlich unseres Zusammenlebens.
Okay, wir kennen Situationen, in denen ein Nein als Antwort sich eher suboptimal anfühlt. Vor dem Traualtar zum Beispiel. Bei der Wohnungssuche. Oder auf die Frage: „Du hast schon verhütet, oder?“ Aber würden Sie in diesen Situationen lieber ein Vielleicht hören? Ein schwammiges Jein? Oder ein Ja, zu dem das Gegenüber nicht steht und das dann hinterhältig zu einem Nein mutiert, wenn Sie es gar nicht mehr erwarten?
Man stelle sich nur vor, wir hätten kein Nein. Etwa so, wie wir kein Pendant zum Wörtchen „satt“ haben: Hunger – Durst, satt – … Durst gelöscht. Hätten wir kein Nein, könnten wir dem Ja nur ein Nicht-Ja gegenüberstellen. „Willst du noch etwas trinken?“ – „Nicht-Ja, danke.“ Undenkbar! Ebenso andere Alternativen – ich sag nur Allegra: „Willst du noch etwas trinken?“ – „Tabuu!“
Nein, ein Leben ohne Nein ist wie Pommes ohne Schranke, wie Winter ohne kalt, wie Köln ohne Dom oder Stones ohne Keith – möglich, aber sinnlos. Zudem mit zahllosen Missverständnissen gespickt. Und dann sind da ja auch noch all die schönen Abwandlungen des Neins: Nö, Nee, Naa, Nope, No – ein herzlicher, bunter Strauß an Ablehnungen, die dem Korbgeben eine kreative Variante verleihen. Und deshalb sage ich entschieden Nö zur Nein-Diskriminierung und Ja zum Nee!
Wer Ja sagt, muss auch Nee sagen!
All diese Gedanken hatte ich mir noch gar nicht gemacht, als ich mir vor einigen Monaten einen Hoodie kaufte, auf dem ein riesiges, kuscheliges NÖ in Neongelb prangt. Ich liebe diesen Pullover gleichermaßen wie das (t)rotzige Statement und merke seitdem, dass Nein, Nö & Co. gerade einen Höhenflug haben. „NEIN ist ein ganzer Satz“, steht auf dem T-Shirt im Onlineshop. „Bevor du fragst: NEIN“, konstatiert die Kaffeetasse im Geschenkladen. Und das von mir sehr geliebte „NEINhorn“ von Mark-Uwe Kling fehlt in keiner Kinderbuchabteilung. Gibt es einen neuen Trend zum Nein?
Ist Nein das neue Schwarz?
Ja sagen kann ja jeder. Das ist nicht nur keine Kunst, sondern kann obendrein auch noch riskant sein. Zumindest wird es einen nicht unbedingt weiterbringen. Und langweilig ist es außerdem. Jasagen ist wie Beige: unscheinbar, ohne Profil und Statement. Ein richtig platziertes Nein hingegen hat Charakter, Selbstbewusstsein, Standing. Da weiß jemand, was er oder sie will. Naja, oder zumindest schon mal, was er oder sie nicht will. Und das ist doch gut. Oder?
„Die richtige Tonlage ist der härteste Teil am Nein sagen.“
Jonathan Price, britischer Schauspieler
Aber raten Sie mal … Trotz meines Plädoyers für das Nein, ziehe ich meinen NÖ-Hoodie außerhalb meiner Wohnung nur selten an. Eigentlich nur, wenn ich wirklich richtig schlechte Laune habe. Denn schon im Spiegel meine ich zu erkennen, dass dieses vor mir hergetragene NÖ so was wie eine stoffgewordene Ohrfeige für alle Menschen ist, die mir entgegenkommen. Eine beflockte Krawallerklärung – dabei bin ich ja eine friedliebende Person. Andererseits: Hallo, wir reden über einen Pulloveraufdruck! Wie beleidigend können zwei Buchstaben sein? Muss ich noch einen Zwinker-Emoji dahinter sticken, damit alle die Ironie verstehen? Hach, es ist doch verzwickt mit Nein, Nö und Nee.
Wir alle kennen ja diesen stoisch-schweigsamen Männertyp. Jene Teflon-Boys, die Fragen grundsätzlich erstmal unbeantwortet an sich abperlen lassen in der Hoffnung, dass sie sich von selbst erledigen, ohne dass es nottut, sich zu einer Antwort durchzuringen. Das Konzept wird mir gerade schlagartig sympathisch. Vielleicht holt es mich aus meinem Ja-Nein-Dilemma heraus – und ich muss mich nicht mehr entscheiden!
Zur Autorin: Nein zum Tabu – das war für Lara Buck in Sachen Kindererziehung sonnenklar. In anderen Situationen eiert sie jedoch auch oft mit einem unentschiedenen Jein herum – und fühlt sich dabei zwischen Pro und Kontra eingeklemmt.
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